Giro d´Italia 1995

Ach was, alles Unsinn: Lava und Magma und Fumarolen und Eruptionen - im Berg sitzt ein scheußlicher schwarzer Teufelskerl, der mit glühenden Steinen schmeißt.
M. Kruse. "Urmel im Vulkan", München 1982

So aber fanden sich im Jahre 1995 21 Unerschrockene, um dem Teufelskerl bei der Arbeit zuzuschauen. Bepackt mit Hammer, Stiefeln und (hoffentlich) ausreichend Socken traf man sich in aller Frühe vor der Mineralogie. Alles rein in den Bus und erstmal für die nächsten zwei Tage häuslich eingerichtet, denn vor das Vergnügen war eine lange Reise gesetzt worden, und die sollte mit einem Bus bewältigt werden. Die Alpen hatten schon im Voraus Wind von uns bekommen und sich schnell unter einer dichten Wolkendecke versteckt und im ersten Quartier auf italienischem Boden wurden wir mit dem Frühstück geschockt. Dafür sahen wir die Marmorbrüche von Carrara (ich dachte immer, Marmor käme in Form von Säulen und Statuen vor) und machten uns auf nach Elba. Die Überfahrt war ziemlich windig und, wie konnte es anders sein, regnerisch. Trotzdem brachte uns die "Moby Baby" (das Schiff hieß wirklich so und hatte einen blauen Pottwal mit Schnuller auf dem Rumpf gemalt!) gut auf die Insel. Der erste Bergkontakt führte uns in die Wolken, so daß wir alle Vorstellungskraft brauchten, um der Bergpredigt von Prof. Schleicher über Elbas Geologie zu folgen. Nach jeder Erläuterung riß der Wind ein entsprechendes Stück der Wattewand weg (oder war es umgekehrt?). Am Abend wurde in Markus_ Geburtstag hineingefeiert, wobei für die Biervorräte ein finales Ereignis angesagt war. Die Gäste hatten unser Zimmer glatt für eigen angenommen und einige lebten hier auch ihre motorischen Störungen voll aus ( dank an Unbekannt für das Bier in meinem Bett!!!). Alles in allem fanden aber alle, das es ein schönes Fest gewesen sei, nachdem wir die hartnäckigsten Besetzer durch herausdrehen der Sicherungen vertrieben hatten.

Morgens wurde dann ein hoher Aspirinverbrauch gemessen, schließlich sollte dies der erste Großkampftag werden. Dabei fing alles so harmlos an. Serpentinite und Radiolarite. Spannender wurde es erst bei Terra Nere, als die ersten Hämatite und Pyrite gefunden wurden. Doch die Beute blieb mager. Allzu heftige Sammelwut konnte durch ein Bad in einem sulfidhaltigen Teich gelindert werden. Anschließendes baden im Meer war ratsam, sonst drohten Auflösungserscheinungen.

Dem Besuch des Mineralienmuseums von Elba folgte ein längerer Aufenthalt in einem stillgelegten Tagebau. Man wurde glatt von soviel Glitzerkram geblendet und es setzte ein regelrechter Goldrausch ein. Manche schöne Hämatitstufe und viele Pyrite wurden eingetütet und haben sicher in Hamburg ein neues Zuhause gefunden. Einigen von uns fiel der Abschied von dieser ergiebigen Quelle recht schwer, die Spuren des harten Schürfens waren ihnen wie mit Glitzerschminke ins Gesicht und auf die Kleidung geschrieben.

In der Umgebung der Lagerstätten fanden wir Ilvait, besonders schön an der Küstenstraße von Rio Marina aufgeschlossen. Das Gestein hatte einen durchaus ästhetischen Wert, es bestand aus schwarzem Ilvait und grünem Hedenbergit. Leider widerstand der Ilvait allen Versuchen, einigermaßen gute Kristalle zu bergen. Auch der Einsatz von Leib und Leben brachte keinen Erfolg (hallo Markus!).

An dieser Stelle muß ich dem Hotel in dem wir untergebracht waren mal einen Stern aberkennen. Das Essen war nicht nur äußerst übersichtlich, es konnten auch nur die ersten fünf Personen zwischen den verschiedenen Menüs wählen, der Rest bekam halt die Reste. Dabei wurden die kleinen Portionen natürlich auch immer kleiner. Der Gipfel war die Steckrübensuppe (jedenfalls dem Gerücht nach war es eine), in der eine Fliege hätte stehen können, ohne einen nassen Bauch zu bekommen.

Tja, die Not war groß. Hinzu kam dann auch noch die schreckliche Nachricht (jedenfalls für einige), das Karsten, unser Busfahrer, kein Bier mehr hatte.

Der folgende Tag galt dem Westen der Insel, den Graniten und damit vor allem dem Monte Capanne. In einer Serpentine hielten wir an und Schleicher erklärte uns, das nun etwas Geologie gemacht werden würde, also sollten wir unsere Badesachen mitnehmen.

Nach Bewältigung einer kleinen Wegstrecke mit Hindernissen kamen wir an eine kleine lauschige Bucht, in der der Mittelelelbagranit anstand. Besonders bemerkenswert waren die schön herausgewitterten und zentimetergroßen Kalifeldspäte. Auf die hier schön erkennbare "Tafoni-Verwitterung" wurden wir aufmerksam gemacht. Das ganze sieht aus, als wenn einer Löcher in den Granit gefressen hätte.

Auf unserem Weg durch Elbas Westen sahen wir noch einige alte Bekannte, die Pillowlaven, und einige Herren mit ihren großen Brennweiten sahen sich die örtlichen Sehenswürdigkeiten am Strand an.

Weiter oben hielten wir an einem alten Aplitbruch. Dieser Aplit sollte nach Auskunft von Herrn Schleicher Turmalin enthalten, aber der ist nur unter dem Mikroskop zu erkennen.

An diesem Aufschluß machten wir mit einer touristischen Besonderheit Bekanntschaft. Während wir durch den Steinbruch tollten, hielten einige Autos an und deren Insassen kamen heraus um in den Steinen nach Dingen zu suchen, von denen sie wahrscheinlich selbst nicht wußten, was es denn sein soll. Wo so viele Leute mit Hämmern rumlaufen, da muß es doch etwas zu finden geben!!

Als nächstes wurden wir einen Wallfahrtsweg hinaufgescheucht. Die gut 300 Höhenmeter gestalteten sich zu einer ernsthaften Probe für die Kondition, und als wir oben angekommen waren, erzählt unser treusorgender Prof., das wir das gleiche Gestein auch hätten unten sehen können und er wollte nur mal unser Verhältnis zu den Professoren testen. Die schöne Aussicht entschädigte uns für die Strapazen und ließ Pläne für ein Menschenopfer auf dem Stromboli schnell wieder in Vergessenheit geraten.

Nun hieß es, von Elba abschied zu nehmen, unser Weg führte uns Richtung Lago Bolsena und in die vulkanischen Produkte der Gegend. In Steinbrüchen und Straßenaufschlüssen tat sich die ganze Welt der pyroklastischen Ablagerungen auf. Bimse, Aschen, Surges und so weiter. Halt alles was so ein richtiger Caldera-Ausbruch hergibt. Ein besonders eifriges Mitglied unserer Exkursion brachte das Kunststück fertig, sogar im Lockergestein einen Meißel einzusetzen. Bei Valentano lag dann auch noch ein schöner Schlackenkegel, bei dem nicht nur die Schlotregion gut angeschnitten war, sondern auch seitliche Pipes und der schichtförmige Aufbau zu sehen waren. In Bolsena selber kamen wir in die Katakomben und besichtigten die Jugendherberge (oder so ähnlich).

Den ganzen nächsten Nachmittag hatten wir für die Ewige Stadt übrig. Dabei muß wohl auch eine kleine Episode aus der Kriminalstatistik erwähnt werden die zeigt, wie wirkungsvoll Leibwächterinnen sein können, vor allem wenn sie mit einer SIGG-Flasche bewaffnet sind. Hiermit sei Katrin und Nicole für ihren selbstlosen Einsatz gedankt. Auch der italienische Autoverkehr hatte verheerende Folgen auf unseren Busfahrer. Die erste Ampel respektierte Karsten noch, später tat er es den Römern gleich und setzte bei den Vorfahrtsregeln voll auf die Größe des Busses. Die Folge war eine Art eingebaute Vorfahrt.

Wer hätte gedacht, das eine Stadt so stinken kann, aber Pozzuoli gebührt wahrscheinlich der Titel der stinkendsten Stadt der Welt. Mitten im Ort gähnt dann auch der Krater der Solfatara und dünstet Schwefelwasserstoff aus. Die ersten Häuser stehen bereits auf dem Rand des Kraters, der selber einer Mondlandschaft gleicht. In der Mitte blubbert Schlamm und der Boden ist ziemlich heiß. Beim Versuch, Schwefel zu sammeln habe ich mir glatt die Finger verbrannt.

In Neapel haben wir uns dann eine Fähre genommen. Innen klimatisiert und kalt, außen an Deck warm aber regnerisch verlief die Überfahrt auf die Äolischen Inseln recht ereignislos.

Früh morgens, es war noch stockdunkel, kamen wir an. Der Leuchtturm des Mittelmeeres begrüßte uns mit feurigem Schein und wir wurden wie Flüchtlinge an Land geworfen. Unsere Zimmer konnten wir größtenteils erst gegen 10°° Uhr belegen, also wurde am Strand geschlafen. Für den Abend war die Bezwingung des Stromboli angesetzt, die gut 900 Höhenmeter lagen uns doch schwer auf dem Magen. Als es dann so weit war, zierte sich unser Feuerberg und hüllte sich in dunkle Wolken. Nino, unser

Bergführer, wollte sich durch ein paar Wolken nicht aufhalten lassen, also los. Kaum hatten wir den Ort hinter uns gelassen, als auch schon die erste Naturgewalt über uns kam; es regnete wie aus Eimern. Noch bevor wir unsere Regenklamotten aus den Rucksäcken geholt hatten, waren wir durchweicht. Ein kalter Wind erleichterte uns das Ganze nicht gerade, an einer kleinen Kneipe mit Blick auf die Sciara del Fuoco wurde haltgemacht und der Regen abgewartet. Aufgeben oder weitermachen? Kneifen galt nicht, außerdem ließ der Regen schon etwas nach, schnell trockne Klamotten und Regenzeug angezogen und weiter. Der Trampelpfad wurde immer enger und auch die Puste wurde langsam knapp, dafür wurde man mit einem immer phantastischeren Ausblick auf die Feuerrutsche sowie die Nachbarinseln belohnt. Nino erwies sich als wahrer Engel und half allen, die langsam ans Ende ihrer Kräfte gerieten, notfalls sogar mit Tee aus seiner Thermoskanne. Hinter dem Vulkan versteckte sich ein Gewitter, welches dem Ganzen noch eine dramatische Note gab und die einsetzende Dämmerung mit einigen Blitzen zu erhellen suchte. Irgendwann erklärte Schleicher dann, jetzt käme eine kurze Kletterstrecke und dann nur noch ein wenig Asche. Also das Klettern lief ganz gut, das Vulkangestein war schön trittsicher, aber die Aschengeschichte; drei Schritte vorwärts und zwei zurück. Doch konnte man den Atem des Berges schon hören, der uns mit grollender Stimme in seinem Reich willkommen hieß und wir feuerten unsere müden Beine an, die letzten Meter zu überwinden. Endlich hatten wir die 918 Meter hohe Pizzo o Spora la Fossa erreicht, inzwischen war es endgültig dunkel geworden und über uns schien die Milchstraße zum greifen nah. Das Gewitter hing über den Nachbarinseln fest und ließ seine Blitze über den Nachthimmel jagen während unter uns der Stromboli glühende Lava spuckte und den Berg erzittern ließ; Zeus und Hephaestos versuchten sich gegenseitig die Schau zu stehlen. Dabei gab unser Vulkan wirklich sein Bestes, alle zehn Minuten schleuderte einer der beiden Höllenschlünde Feuer und Dampf, in den Pausen, die er zum Luftholen brauchte, starrte er uns mit dem dritten wie mit einem riesigen roten Auge an. Wir selbst saßen auf dem Rand des Pizzo und begleiteten jede Eruption mit dem Klicken und Surren unserer Kameras. Unverständlich ist mir selbst nur das Treiben einiger, die dort scheinbar nichts besseres mit sich anzufangen wußten, als wild mit den Taschenlampen herumzuleuchten und die Belichtungsmesser an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Schon nach gut einer Stunde zeigte der scharfe und recht kalte Wind zusammen mit den regen- und schweißnassen Klamotten seine Wirkung, eine letzte große Explosion wurde noch abgewartet und dann der Abstieg begonnen. Wir wollten der exkursionsgrippe schließlich nicht noch mehr Opfer bringen.

Der Abstieg ging über die Aschenfelder, abwärts stellten sie kein so großes Hindernis dar und es machte richtig Spaß. Dem Regen sei Dank blieb die erwartete und gefürchtete Staubwolke weitgehend aus. Nach Überwindung der Schilfwälder kamen wir wohlbehalten am Ort an, wo sich Nino verabschiedete, nicht ohne noch ein wenig Reklame in eigener Sache zu machen. Im Hotel selber wurde schnell der Pool besetzt und noch einige Flaschen auf das Wohl unseres feurigen Freundes gelehrt. Der folgende Tag stand frei zu unserer Verfügung. Einige Unausgelastete stürmten noch einmal den Gipfel, um dem Stromboli mal bei Tag und aus der Nähe zu betrachten (Ich bedanke mich auch für die nette Bombe!), andere versuchten sich mit Segeln oder Baden. Am Abend fand dann noch das Bergfest statt. Unser Hotel hatte wirklich allerhand aufgefahren und wir hatte leichte Schwierigkeiten, die ganzen Pizzen und Leckereien zu vernaschen. Glücklicherweise gab es reichlich Wein zum nachspülen.

Nun hieß es Abschied nehmen von unserem Hotel (quartiertechnisch war nur noch ein Abstieg möglich!). Da unsere Fähre aber erst gegen Abend fuhr und wir nicht den ganzen Tag Geologie betreiben konnten, behielten wir drei Zimmer für unser Gepäck und die Poolbenutzung. In der Tat, die Inselgeologie war in gut einer Stunde abgehakt und wir hatten Zeit zum Baden. Dabei griff mich die Dusche derart heimtückisch an, das ich nur durch den Einsatz vereinter Kräfte befreit werden konnte (Dank an alle!!). Eine Inselrundfahrt bildete den krönenden Abschluß, auch wenn wir nicht ganz am Ausgangspunkt wieder ankamen, weil sich unser Käpt_n die Schraube abfuhr. Die Überfahrt mit der Fähre verlief ähnlich ruhig wie die erste, wir kamen im Morgengrauen in Neapel an. Die Sonne ging direkt über dem Vesuv auf, als uns Karsten wieder in seinen Bus aufnahm. Irgendwoher hatte er auch einige Kisten deutschen Bieres bekommen, sehr zur Freude unserer Flaschenkinder. Das Ziel des Tages war der Vesuv selbst, aber nach dem Stromboli stellte er keine richtige Herausforderung dar. Die Straße ging bis unterhalb des Gipfels und zum Krater führte ein gut ausgebauter Weg. Der Ausblick war dennoch enorm. Unter uns lag Neapel, vor uns das Valle d`Inferno und hinter uns gähnte der Krater. Erstaunlicherweise ist das Land um den Vulkan ziemlich dicht besiedelt. man fragt sich unwillkürlich, wohin mit den ganzen Menschen bei einem größeren Ausbruch? Und wessen der Vesuv fähig ist, hat er ja schon zur genüge gezeigt.

Der letzte Aufschluß der Exkursion lag in Pompeji. Er sollte die Abfolge des Ausbruchs von 79 v Chr.. zeigen, war aber zum größten Teil zugemauert. Also mußte Pompeji selber herhalten. Die Stadt ist direkt aus dem Leben gerissen, an den Häusern stehen noch Hinweise auf Wahlen und bevorstehende Gladiatorenkämpfe. Gipsabgüsse ihrer Bewohner sorgen für einen gewissen Gänsehauteffekt und lassen sogar Standesunterschiede erkennen. Unser Quartier lag diesmal in Sorent. Das Hotel "Klein Wien" (kein Witz, der Schuppen hieß wirklich so!) belegte die oberen zwei Stockwerke eines fünfstöckigen Hauses direkt über der Marina. Zu den Vorzügen gehörte eine schöne Aussicht auf den Vesuv, dafür war der Eingangsbereich nur für Menschen unter 1,90 m und das Essen wurde einem ziemlich lieblos auf den Teller geknallt, morgens mußte man um Butter regelrecht betteln. Von dort aus ging es dann wieder Richtung Heimat.

Auf der ganzen Exkursion hielt sich zwar eine Exkursionsgrippe, aber ein Exkursionskoller blieb, von einigen Ausnahmen abgesehen , aus. Wenn bei einigen dann doch mal Egotrips auftraten, waren natürlich immer die anderen Schuld (wer denn sonst??). Trotz eines manchmal doch heftigeren Wein und Bierkonsums waren morgens alle wieder fit, und nicht nur am Stromboli wurde den anderen geholfen, wo es ging. Das veranlaßte dann unseren Capo zum Abschluß zu der Bemerkung, wir seien "erschreckend diszipliniert" gewesen.

Gunnar

Homepage Der lange Trek